München-Venedig per Rad (3)
Inhalt
Es musste ja so kommen.
Zum ersten Mal denken wir über den Begriff „Genussroute“ nach. Man hat Radwegen jeweils einen Schwierigkeitsgrad zugeordnet, Genussroute steht in dem Fall für barrierefreies Radfahren. Nachdem wir die Strecke abgefahren sind, ein nüchterner Einwand von uns: den Brenner kann man durchaus als Hindernis bezeichnen.
Dabei beginnt alles so harmlos…
Ein kleines Ründchen durch Innsbruch, die Sonne scheint, es ist warm. Das Navi führt uns… an eine Bahnhaltestelle? Ach, wieder so ein bug, müssen wir melden. Wir schauen uns um und tatsächlich endet unsere Tagesetappe gleich morgens früh an einem Bahnhof. Wir begreifen gar nichts und überlegen uns, wie wir auch ohne Navi und ohne Bahn weiter kommen. Da drüben, da ist eine kurze Rampe, die müssen wir nur hoch, dann fahren wir einfach parallel zur Schienenstrecke.
Also rüber zur Rampe, wir sehen das Ende hinter der Kurve, und auf geht´s. Wuuuu, ist das steil, aber wir strahlen, der Ehrgeiz hat uns gepackt, strampeln im 1. Gang bis nach oben. Der Schweinehund kläfft nach Kräften, Herrchen und Frauchen aber sind willensstark. Wir sehen das Ende der Kurve. Mann, ist das steil, und es wird immer steiler…! He Patrick, wann hört denn die Kurve auf, meine Waden werden hart.
Es folgen zwei unterschiedliche Beschreibungen desselben:
Beschreibung (angeschlagene) Sandra:
Wir lassen das Beschreiben an der Stelle und nehmen den ganzen Trara vorweg: die Kurve hört an diesem Tag nie mehr auf! 100.000 km steil bergauf (wieviele km waren es wirklich?), die Sonne ist viel zu warm für sowas, und das Ding mit dem Ehrgeiz hat sich nach einigen Kurven erledigt. Danach heißt es nur noch 25 kg bepacktes Rad bergauf schieben, die Erdanziehung gibt alles, und es hört nicht auf. Immer wieder versuchen wir es mit fahren, aber die Versuche halten nur kurz durch. Hinter jeder Kurve der Eindruck, „das wars, jetzt sind wir oben“, und dann noch eine und noch eine und noch eine. Wie können hier Leute wohnen? Stehen deren Füße nachts im Bett auch noch nach oben ab?
Richtig mies! Nö, ist auch nicht zum Schönreden oder Kräftemessen. Einfach nur mieser Mist. Alle Nase lang überholen uns Busse und fast schon möchten wir uns vor sie werfen. Entweder um zu sterben oder von ihnen mitgenommen zu werden.
Es gibt auch keine Fotos vom Berg, für so einen Scheiß hatte zumindest ich keinen Geduldsfaden frei (und ich hatte die Kamera).
Beschreibung Patrick:
Irre, was ein steiler Anstieg. Ein paar mal müssen wir schieben, aber 90% sind wir gefahren. Und schön ist es hier!
13 Wadenkrämpfe und 1.000 Seehöhenmeter später erreichen wir Patsch. Echt Patsch. Ein Ort auf einer Mittelgebirgsterrasse. Wir wissen schon, warum sie den Ort so genannt haben. Aber Terrasse klingt gut. Wir suchen die nächstbeste auf.
Es ist inzwischen Mittag, nach dem schlimmsten Vormittag unseres (Sandras) Lebens. Die Mittagssonne brennt heiß, der Wind weht etwas kühle Luft dazwischen. Wir erreichen die Römerstraße. Ein langes und stetiges Auf und Ab in sensationeller Winterkulisse. Ist schon echt nett hier. Wahnsinn, was eine Freiheit hier oben. Was aber nicht bedeutet, dass die Rampen(tor)tour aufgehört hat. Wir begegnen so gut wie niemandem, man sagt aber, das sei im Sommer gänzlich anders.
In St. Peter fallen wir in den Gasthof Neuwirth ein. Es braucht nur eine Terrasse und wir geben freiwillig die Räder ab, obwohl der Gasthof zu hat. Unser starrer Blick fällt auf die Brenner-Autobahn. klick – klick – klack, der Groschen fällt: wir befinden uns auf dem Brenner-Radweg. Dieser wird auch offiziell nicht mehr Genussstrecke genannt, weshalb dem Genussradler eine Alternative mit der Bahn angeboten wird. Aaaachso…
Aber egal, jetzt sind wir Helden und dürfen deshalb auch jammernd sterben. Die Pausen zwischen den Etappen werden länger, die Etappen dafür kürzer. Aber eines muss man sagen: die Bahnfahrer werden diesen Ausblick nicht erleben, den wir gerade vor uns haben. Das wiederum macht uns zu privilegierten Menschen, denn sie macht uns glücklich.
Heute sind wir 32 km senkrecht in die Höhe gefahren, das reicht fürs erste. Mit Steinach finden wir einen Ort, der bewohnbar aussieht, das nächste Hotel läge 10 km weiter weg und würde uns über den Brenner führen – verschieben wir es lieber auf den nächsten Tag. Wir nutzen die Sonne für ein Bier auf der Bierterrasse, gehen irgendwo lecker was essen, um abschließend im Hotel „Post“ in Steinach noch in die Sauna und dann schlafen zu gehen. Übrigens: es war das letzte freie Zimmer im Ort. Wir denken ja immer noch, wir führen in der Nebensaison.
10 km bis Italien
-4° C – Tageshöchstwert 4° C. Nur noch 10 km und wir sind in Italien! Das Wetter ist freundlich, aber wir befinden uns in einer Wetterschneise und die Temperatur wird bald umschlagen. Eine Grenz-Kellnerin überrascht uns mit der Nachricht, dass es ab jetzt nur noch bergab geht und dass bald schon das mediterrane Klima beginnt. Der Kaffee bleibt stehen, wir springen auf die Räder und lassen rollen.
Hiermit endet bei Kilometerstand 231,2 km denn auch die 2. der 5 Etappen: die Schatzkiste Tirols. Wären da nicht die brutalen Anstiege würden wir glatt behaupten, dass es eine sehr schöne Etappe sei. Blenden wir den Brenner aus, sagen wir es auch: eine wunderschöne Etappe.
3. Etappe: Alpin-mediterranes Lebensgefühl
Kilometer über Kilometer geht es abwärts auf einer Schnellstraße, bis Patrick hinter mir plötzlich mitten im Geschwindigkeitsrausch brüllt „Halt! Das Navi sagt, wir müssen links!“ Geschockt bleibe ich stehen, kehre um und schiebe mich die Rampe wieder hoch. Wir fahren links und bekommen auf einmal viel Feedback von Autofahrern. Man begrüßt uns mit Lichthupen, Winken und lachenden Gesichtern. Ui, sind die nett hier. Ui, sind die schnell hier. Ui, wir sind auf der Autobahn. Einigermaßen verärgert über die open-source Empfehlung kehren wir zurück auf die Abfahrtstrecke, die Bremsklötze geben alles, was nicht mehr viel ist. Die Blicke bleiben entsprechend konzentriert auf der Straße, aber die Umgebung ist sicher schön gewesen.
In Sterzing Vipiteno suchen und finden wir einen Radladen.
„Einmal Bremsklötze austauschen bitte.“
Der Mitarbeiter schaut mich irritiert an:
„Welche Bremsklötze?“
Ich habe es geahnt: meine Bremsklötze sind bis aufs Metall komplett heruntergefahren, was meine imposante Geschwindigkeit bei der Brenner-Abfahrt erklärt.
Sterzing Vipiteno ist übrigens nicht nur die nördlichste Stadt Südtirols, es ist auch ein relativ hübscher Ort zum Shoppen und Bummeln.
Weiter geht´s durch Südtirol. Es wird ein wenig umgänglicher, was die Steigungen angeht, was tatsächlich ganz angenehm ist. Wir fahren durch bis Aicha bei Natz-Schabs. Die Radwege sind mitunter schottrig, aber wir mögen es rustikal. Das Klima würden wir zwar noch nicht als mediterran bezeichnen, aber es ist milder geworden und man sieht immer öfter den Asphalt unter den Reifen.
Wir erreichen Aicha. Da man am Ortseingang gar nicht am Hotel „Klammerhof“ vorbeigucken kann, entscheiden wir uns, auch gleich dort zu frag… huch, die Tür geht von selbst auf. Eine fröhliche, dynamische Frau ruft uns winkend rein: „Ja, nicht zu glauben, ihr seid die ersten Radfahrer dieses Jahr!“. Das ist Frau Reichegger, die Inhaberin und Verantworliche für den supersympathischen Empfang. Wir fühlen uns gleich wohl und das richtig gute Essen stört dieses Gefühl ganz und gar nicht.
Ansonsten reicht die Energie gerade noch fürs Sockenwaschen und peng, geht´s mit uns an diesem Tag auch schon zuende.
Wie es weitergeht, erfahrt Ihr in
Teil 4: the last Schneemann before Venedig?
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