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Belfast? Echt jetzt?
Ja, echt. Und zwar jetzt! Patrick möchte zwischen den Tagen nach Belfast. Er möchte dort arbeiten, während ich nix vorhabe und eingeladen bin, mitzukommen.
Für mich klingt das wie Urlaub in Castrop Rauxel*. Ich sehe graue Betonbauten, Regen, mürrische Menschen in menschenleeren Straßen. Klingt verlockend. Ich komme mit. Um mich hoffentlich eines Besseren belehren zu lassen. Die Fuji X PRo 2 sei mein Zeuge.
Die nordirische Hauptstadt hat in den 90er Jahren traurige Schlagzeilen geschrieben. Sie sind mir noch sehr präsent. Weniger präsent dagegen sind mir die Hintergründe jener Zeit.
Mein Städtetrip beginnt also mit einer Nachhilfestunde „Belfast´s Geschichte“. Wir haben sie Euch unten mal zusammengefasst.
*Entschuldigung Bewohner von Castrop Rauxel. Ich war noch nie in Eurer Stadt. Aber sie klingt so lustig unromantisch. Als Wiedergutmachung werde ich Castrop Rauxel besuchen fahren!
10 Gründe
Eigentlich bin ich ja nicht der Stadttyp. Städte stressen und langweilen mich gleichermaßen. Ich brauche schon handfeste Gründe, um eine Städtereise mitzumachen. Am besten so an die 10. Gut, hier sind sie. Habe sie dort selbst gefunden.
- Belfast ist eine Hauptstadt und in meiner ersten Vorstellung sehe ich mich planlos und mit blutigen Füßen herumirren. Deshalb finde ich ad hoc eine Stadtrundreise mit den sog. „hop on – hoff off“ Doppeldeckerbussen charmant. Das jedoch ist gar nicht nötig, denn die Stadt ist tatsächlich klein und kann fußläufig erforscht werden.
- Aber schon spannend, wenn man etwas über die Umgebung weiß, wird sie einem vertraut. Man identifiziert sich mit ihr und damit geht man plötzlich mit ganz anderen Augen durch die Straßen. Im Fall von Belfast gibt es eine intensive Geschichte, die ich mir vergegenwärtigt habe. Damit verstehe ich die vielen Wandgemälde, die wie ein interaktives Museum daherkommen.
- Die Wandgemälde, die sogenannten Murals, sind übrigens berühmt. Sie erstrecken sich über ganze Viertel, sind künstlerisch hochgradig virtuos gemalt und erzählen Belfasts Vergangenheit aus ganz vielen verschiedenen Perspektiven.
- Überhaupt führen Konflikte immer zu einer verstärkt künstlerischen Aktivität. Es gibt eine ganzen Art-Trail durch die Stadt, der zeigt, wie die Menschen hier die Geschehnisse verarbeiten, aufzeigen und zu verstehen versuchen.
- Genau, Museum. Davon gibt es hier zwei wichtige. Das Ulster Museum, ein Sammelsurium aus Kunst, Belfast-Geschichte und Achäeologie. Selbst für Museumsmuffel wie mich eine echte Entdeckung.
- Und dann gibt es das Titanic-Museum. Hoppla, wusstet Ihr, dass die Titanic in Belfast gebaut wurde? Nein, das war nicht, wie im Film behauptet, Southhampton, dort hat sie aber ihre ersten Passagiere abgeholt. Und deshalb steht hier ein an Eisberge erinnerndes Riesenmuseum, und gleich daneben das einzige noch existierende Schiff der White Star Line, nämlich die echte SS Nomadic, das Taxi der Titanic. Wer hier rein geht, steht auf demselben Boden und sitzt an denselben Originaltischen und -bänken (!), wie jene Passagiere von 1911, die auf ihrer Transferfahrt zur Titanic waren. Ihre Fotos und Geschichten werden respektvoll gezeigt. Jedes einzelne Gesicht ist jetzt in meinem Gehirn eingebrannt. Die SS Nomadic ist die eigentliche Sensation. Lasst es Euch ruhig von der sehr enthuiastischen Mitarbeiterin bei der Einführung erzählen! Dann dürft Ihr sogar fotografieren!
- Es gibt ein richtiges Stadtzentrum mit aus – und sehr einladenden Einkaufsstraßen. Ganz ehrlich: wenn es in Köln ein solches Einkaufsviertel gäbe, ich würde nicht mehr online shoppen. Macht richtig Spaß, durch die hübsch angelegten Straßen zu schlendern, überall interessante Geschäfte zu entdecken, die mal nicht aus X&X Buchstaben bestehen, und sich zwischendurch immer wieder in den Straßencafés und Pubs zum Ausruhen und Leutebeobachten abzusetzen.
- Ja, denn das können sie, die Iren: Pubs und Cafés! Eines schöner als das andere. Von stilisch bis traditionell, und immer megagemütlich. Es hat nicht gestört, dass zur Weihnachtszeit überall warme Lichterketten blinken. Die Wirte erzählen gerne, dass ihr Pub das älteste der Stadt sei. Wir haben ihnen nicht verraten, wie viele uns das schon erzählt haben. Ist aber auch egal, Hauptsache, ab 18h sitzen sie alle drin und haben eine gute Zeit.
- Wer „Game of Thrones„-Fan ist, der wird hier glücklich. Im Opera-Hotel steigen die Stars während der Dreharbeiten gerne ab, eine gute Gelegenheit zum Stalken. Es gibt gleich ganze Bustouren zu den Drehorten. Ein Hype.
- Das UNESCO-Welterbe, der Giants Causeway, liegt ebenfalls in der naja-Nähe. Kommt, seid mal spießig und bucht eine 8-stündige Bustagestour. Das lohnt sich. Die Busfahrer haben nämlich nicht nur einen Führerschein sondern verfügen über ausgeprägte Enterntaintalente. Auf die Weise bekommt Ihr den irischen Norden mit beißendem britischen Humor vermittelt, dass ihr prustend über der Kopflehne Eures Vordermannes hängt.
Ja, für eine Nicht-Städtetyp werde ich hier ganz schön euphorisch.
Citymap
Das Transportsystem funktioniert hier gut.
Ihr könnt – hehe – mühelos die Beine unter Euch benutzen, darüberhinaus gibt es ein dichtes Netz an Metro und Bussen (Doppeldeckerbusse und lilafarbene Glider, die mit Strom fahren), sowie jede Menge der hübschesten Taxen der Welt, die Euch überall hin bringen. Der George Best City-Flughafen ist auch nicht weit und gut erreichbar mit Bus und Taxi (ca. 13 Pfund).
Im übrigen müsst Ihr 1x umsteigen, um nach Belfast zu fliegen. Entweder in Birmingham oder in Manchester. Die Flughäfen sind allerdings mustergültig übersichtlich gehalten.
Bezahlt wird in Pfund, und wenn Ihr eine Kreditkarte wie idealerweise VISA habt, kommt Ihr gut zurecht.
Belfast ist laut meiner Karte in 5 Quarter aufgeteilt. Die Grenzen sind fließend.
Linen Quarter
Cathedral Quarter
Titanic Quarter
Murals District
Queens Quarter
1. Linen Quarter
Es bildet rund um die City Hall das Zentrum. Sucht Euch hier ein Hotel (z.B. das Flint oder das Easy Hotel), denn alle schönen Spots gehen sternförmig hiervon ab.
Die Einkaufsstraßen am Victoria Square sind angenehm belebt von lustig gekleideten Menschen. Hier zu shoppen macht Spaß. Auch preislich gesehen.
Wer Lust auf Frische und frische Musik hat, schaut sich mal auf dem St. George´s Market um, ein toller Markt mit Live-Musik – den wir jedoch nicht angesteuert haben.
Interessant für Stalker ist außerdem das Grand Opera House. Stars von Game of Thrones steigen hier gerne mal ab.
2. Cathedral Quarter
Überaschung: hier steht die St. Anne´s Cathedral.
Das Quarter fügt sich nahtlos an die Einkaufsstraßen des Linen Quarters an. Es ist ein lebendiges Viertel, in dem sich nicht nur die University of Ulster wohlfühlt, sondern wo vor allem auch jede Menge In-Pubs und Restaurants und junge Menschen die Atmosphäre bereichern.
Berühmt ist hier die Bar Duke of York, wo auch Snow Patrol ihren ersten Gig hatte.
Belfast wird zu Weihnachten übrigens nicht hässlicher. Besonders die schmalen Gassen wirken so heimelig mit all ihren Glitzerlichtern, dass man gleich Bescherung halten möchte.
3. Titanic Quarter
Wenn Ihr schon mal im Cathedral Quarter seid, könnt Ihr auch gleich über eine der vielen Brücken am River Lagan gehen, um von dort ins Hafengebiet rüber zum Titanic-Museum mitsamt der SS Nomadic zu gehen.
Ich mag Häfen normalerweise nicht, diesen hier schon! Er ist licht und sauber und schön und… spannend! Must-go! Im übrigen geht Ihr am Big Fish vorbei, dem gebildetsten Lachs von Irland. Er besteht aus Fliesen mit Zeitungsausschnitten.
Bevor ich das Gelände des Titanic Museums betreten habe, hat mich die Titanic eigentlich nicht so interessiert. Nun aber fühle ich mich quasi als Passagier (ich habe überlebt). Während man über die weite unbebaute Fläche hinter dem Museum geht, merkt man irgendwann, dass sie den Grundriss der Titanic darstellt. Das ist der Moment, wo die Kinnlade nach unten fällt.
Es lohnt sich, Zeit für diese Zeitreise mitzubringen.
Der Blick auf Belfast ist von hier aus übrigens „nett“.
4. Murals District
Dieses Gebiet ist bekannt für die Wandbilder, den Murals.
Sie führen durch die Arbeitersiedlung entlang der Shankill Road hindurch und Ihr werdet schnell merken, was die Menschen hier bewegt.
Spätestens erkennbar an den großartigen Fotografien von Fotojournalist Mariusz Smiejek, die an manchen Zäunen hängen und die Identität der hier lebenden Menschen visualisiert.
5. Queens Quarter
Laut Ian, unserem Giants Causeway-Busfahrer (s. unten), ist das das Gebiet der „Walking Dead“.
Er bezieht sich auf die Studenten, die hier nachts zu leben anfangen, während sie tagsüber an der Queens University studieren. Hier gibt es jede Menge schicke und hippe Pubs, eine ausgedehnte Fressmeile, in der auch die The Crown Bar liegt, das berühmteste Pub in Belfast.
Außerdem findet Ihr im Queens Quarter den Botanische Garten und das Ulster Museum.
Noch ein paar Schritte weiter lauft Ihr ins Villenviertel rein – und aus Belfast raus.
Giants Causeway
Die Busreise war eine Tages-Busreise dort hin, mit dem spaßbegabten Busfahrer Ian. Er erzählte uns mit britischem Humor die vielen Geschichten der Gegend. Hätten wir unter brüllendem Lachen noch was hören können, wir hätten sicher noch viel mehr erfahren.
Ein hübscher Film am Eingang des Giants Causeway Gebietes klärt Euch darüber auf, was es mit der Riesen-Geschichte auf sich hat.
Es ist eine hübsche Geschichte und die Iren sind hervorragende Geschichtenerzähler. Harter Fakt dagegen ist, dass der Giants Causeway zum UNESCO Welterbe gehört. Seine vulkanische Felsformation ist einzigartig, genauso, wie die umliegende Landschaft.
Wer sich in die Lage der ehemaligen Fischer versetzen möchte, kann sich an die Carrick-a-Rede-Rope Bridge ranwagen. Eine windige aber gewartete Seilbrücke über einen tiefen Abgrund übers Meer, den die Fischer seinerzeit mit nur einhändigem Geländer überquert haben. Hätte ich jetzt so nicht gemacht. Aber mit zwei Handläufen kann man sich wenigstens das Wackeln schönreden.
The Troubles
Damit ist der Bürgerkrieg, die Konflikte, in Nordirland seit ca. 1969 bis in die späten 90er Jahre gemeint.
Wir maßen uns nicht an, den Konflikt in seiner Komplexität erklären zu können. Auch hat der Nordirland-Konflikt eine lange Geschichte. Schon seit Jahrhunderten bekämpfen sich Katholiken (die Nachkommen der gaelischen Urbevölkerung in Irland – Eire) und Protestanten (die Nachfahren der britischen Kolonisten in Nordirland – Ulster) um Religion, Land und Regierungsweisen. Deshalb geben wir lediglich einen groben Überblick.
Ursprünglich unterlag Irland der britischen Krone. Nach vielen Kämpfen erlangte ein Teil Irlands 1923 schließlich eingeschränkte Souveränität und wurde 1948 zur Republik Irland, während sich der Teil im Norden zum Verbleib bei Großbritannien aussprach.
Das Problem war die Grenze, die als harte Grenze das überwiegend protestantische Nordirland von der überwiegend katholischen Republik Irland trennte. Denn die katholischen Iren in Nordirland, die sich zur Republik Irland zugehörig fühlten, wurden von den überwiegend protestantisch Nordiren unterdrückt. Das führte schließlich zum bewaffneten Aufstand der katholischen Terrororganisation IRA, die sich mit der protestantische Miliz UVF ein grausames Vergeltungsspiel lieferte.
Erst das Bilden einer weichen Grenze beendet die Kämpfe mit einer blutroten Zahl unterm Strich: rund 3.600 Opfer auf beiden Seiten.
Und der Brexit?
Wir haben Belfast jetzt besucht, weil niemand weiß, wie sich der Brexit in Nordirland auswirken wird. Wird es künftig wieder eine harte Grenze geben oder bleibt es bei der weichen Grenze? Die Stimmung ist gedrückt, man spürt die allgemeine Verunsicherung und die Angst, die alten Konflikte könnten wieder aufbrechen. In Nordirland wird viel geraucht.
Die Troubles sind gerade mal 20 Jahre her. Die Nordiren sind, anders als die Republik-Iren, eher zurückhaltend. Sie wirken auf uns freundlich, aber eher unnahbar, was das tiefsitzende Mißtrauen zeigt.
Die jungen Menschen bringen neuen Ideale mit, auch das ist spürbar und sichtbar. Auf den Straßen wird um Respekt geworben, auch um Respekt für Tiere. Auf sie setzen wir.
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